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Studio Ghibli – Animekunst auf höchstem Niveau
Ein Artikel von Dr. Verena Materna
Als 1998 „Prinzessin Mononoke“ auf der Berlinale seine deutsche Erstaufführung hatte, galten dieser Animationsfilm und das Studio Ghibli hierzulande noch als Geheimtipp. Obwohl damals schon viele Insider vom Charakter-Design und der emotional aufwühlenden Geschichte mit starkem Umweltbezug schwärmten, dauerte es noch drei Jahre, bis dieser Film ins deutsche Kino kam und später über die Veröffentlichung auf DVD und die Ausstrahlung im deutschen Fernsehen ein größeres Publikum erreichen konnte. In Japan schlug „Prinzessin Mononoke“ bereits 1997 alle Rekorde und war der bis dahin erfolgreichste Kinofilm im Lande – erfolgreicher sogar als James Camerons „Titanic“. Doch schon 2002, als „Chirohiros Reise ins Zauberland“ im Wettbewerb auf der Berlinale gezeigt wurde, war der Erfolg auch international unübersehbar. Der Film gewann den Goldenen Bären und wurde 2003 bei den darauffolgenden Academy Awards mit dem Oscar als „Bester Animationsfilm“ ausgezeichnet.
Doch was ist eigentlich das Besondere an den Animationsfilmen von Ghibli? Optisch beeindrucken vor allem die zeichnerische Qualität und Detailgenauigkeit. Die Charaktere sind liebevoll gestaltet und es ist leicht, mit ihnen mitzufühlen. Darüber hinaus sind die übrigen Bildteile und Settings fast noch aufwändiger gestaltet als die Figuren. Holzbalken und Pflanzen, ebenso wie die Details an Gebäuden und die Alltagsgegenstände wirken oft so echt, dass man fast vergisst, dass alles nur gezeichnet ist. Solchen Meisterwerken des Animationsfilms gehen umfangreiche und langwierige Recherchen voraus. Aber es lohnt sich. Abgerundet durch die ebenso sorgfältig produzierte Filmmusik ist jeder der Filme ein Kunstwerk, das einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Das Studio Ghibli wurde 1985 gegründet, kurz nachdem der Film „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ von Hayao Miyazaki 1984 sehr erfolgreich im japanischen Kino lief. Dieser Film wird häufig schon als Ghibli-Film mitgezählt, obwohl er bereits vor der Gründung entstand. Die Arbeiten des Studios sind maßgeblich geprägt von Hayao Miyazaki und Isao Takahata, die beide über die Jahre sehr erfolgreiche und immer wieder auch preisgekrönte Filme produziert haben. Es gibt einige Grundthemen, denen sich die Ghibli-Filme wiederholt widmen. So wird der Umgang mit der Natur bzw. ihre Zerstörung immer wieder aufgegriffen, u. a. in „Prinzessin Mononoke“ über Raubbau des Menschen an der Natur am Beispiel des Bergbaus, in „Pom Poko“ über das Zusammenleben von japanischen Marderhunden (Tanuki) mit den Menschen oder auch in „Ponyo – Das große Abenteuer am Meer“. Das Thema Krieg und seine Auswirkungen wird ebenfalls aus verschiedenen Blickwinkeln bearbeitet, z. B. in „Das wandelnde Schloss“, in dem u. a. die Bombardierungen im Krieg dargestellt werden oder in „Wie der Wind sich hebt“, einem Film über die Geschichte des Flugzeugkonstrukteurs Jiro Horikuchi, die überwiegend in den 1930er Jahren spielt. Besonders bewegend ist der Film „Die letzten Glühwürmchen“, der unter der Leitung von Isao Takahata entstand und die Geschichte von zwei Waisenkindern erzählt, die 1945 kurz vor dem Kriegsende dem alltäglichen Leid ausgesetzt waren. Obwohl dieser Film ab 6 Jahren freigegeben ist, handelt es sich hierbei nicht um einen Kinderfilm im klassischen Sinne und ist selbst für Erwachsene keine leichte Kost.
Doch es gibt sie, die fröhlich-leichten Anime-Filme von Ghibli, die Groß und Klein in ein angenehmes Sonntag-Nachmittag-Gefühl versetzen. Allen voran ist hier „Mein Nachbar Totoro“ zu nennen, dessen Titelsong wohl jeder in Japan kennt. Die Geschwister Satsuki und Mei erleben hier nach einem Umzug auf das Land eine ganze Menge Abenteuer mit dem freundlichen Totoro, der auch das Maskottchen des Studio Ghibli geworden ist. Mindestens ebenso beliebt ist der Film „Kikis kleiner Lieferservice“ über eine kleine Hexe, die nun langsam erwachsen wird, aus dem Elternhaus fortgeht und den Weg in die Selbständigkeit wagt. Abenteuer rund um die Fragen, wie finde ich neue Freunde, wie bestreite ich auch finanziell mein eigenes Leben und die Übernahme von Verantwortung, lassen das Publikum mitfiebern und sich freuen, wenn schließlich der Erfolg eintritt.
Fans aus aller Welt waren aufs Neue begeistert, als im Herbst 2001 das Ghibli-Museum in Mitaka – einem Vorort von Tokyo – eröffnet wurde. Von außen ist es ein harmonisch-buntes Gebäude, von innen eine kleine Wunderwelt, in der man viele Originalzeichnungen und -entwürfe bestaunen kann. Jüngere Kinder können hier im Plüsch-Katzen-Bus aus dem Totoro-Film herumtoben und man kann eigens für das Museum produzierte Kurzfilme anschauen, z. B. über die kleine Raupe Boro. Da das Museum nur begrenzt Raum bietet, ist täglich nur eine begrenzte Besucheranzahl zugelassen und es ist erforderlich, die Eintrittskarten vorzubestellen (nähere Informationen unter: http://www.ghibli-museum.jp/en/). Der Besuch ist auf jeden Fall empfehlenswert!
Nach einer kleinen Pause wurde seitens des Studios 2017 berichtet, dass Hayao Miyazaki wieder die Arbeit an einem neuen Film aufgenommen hat. Wir dürfen also gespannt sein. Vielleicht gibt es ja schon in Kürze ein neues Anime zu bestaunen.